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Stanislaw Petrow

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Stanislaw Petrow
Stanislaw Petrow (2016)
Gelebt 7. September 1939–19. Mai 2017
Beruf Soldat

Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow (russisch Станислав Евграфович Петров,1939-2017) war ein russischer Oberstleutnant der sowjetischen Luft­verteidigungs­streit­kräfte[wp].

Nuklear-Fehlalarm von 1983

Hauptartikel in Wikipedia: Nuklear-Fehlalarm von 1983

Am 26. September 1983 stufte er als leitender Offizier in der Kommando­zentrale der sowjetischen Satelliten­überwachung[wp] einen vom System gemeldeten Angriff der USA mit nuklearen[wp] Inter­kontinental­raketen[wp] auf die UdSSR[wp] korrekt als Fehlalarm[wp] ein. Der Fehlalarm wurde durch einen Satelliten des sowjetischen Frühwarnsystems[wp] ausgelöst, der aufgrund einer fehlerhaften Software einen Sonnenaufgang und Spiegelungen in den Wolken als Raketenstart in den USA interpretierte. Durch eigen­verantwortliches Eingreifen und Unterbindung voreiliger Reaktionen verhinderte Petrow womöglich das Auslösen eines Atomkriegs, des befürchteten Dritten Weltkriegs.[1][2]

Aus Gründen der militärischen Geheimhaltung und wegen politischer Spannungen wurde Petrows Vorgehen erst in den 1990er Jahren publik.[3]

Petrow wurde für sein Verhalten seitens seiner Vorgesetzten weder belobigt noch belohnt, aber auch nicht bestraft. Eine ursprünglich für sein Handeln geplante Ordensverleihung blieb aus Vorgesetzte zogen die Geheimhaltung vor, um ihr eigenes Gesicht zu wahren, weil sich als Grund für die Fehlfunktion die Anfälligkeit des Verteidigungs­systems herausgestellt hatte.[4] Jedoch erhielt er später einen Orden für andere Verdienste um den Aufbau der Anlage und wurde schließlich noch befördert.

Privates

Vater Jewgraf flog im Zweiten Weltkrieg Kampfflugzeuge, die Mutter war Krankenschwester.

Petrow war mit Raisa verheiratet, die 1997 an Krebs verstarb, mit welcher er einen Sohn, Dmitri, und eine Tochter, Jelena, hatte.

Berichterstattung

Fast zehn Jahre hatte es gedauert, bis sich die Nachricht von seiner Millionen Menschenleben rettenden Nicht-Tat allmählich in der Welt verbreitete. Und dann dauerte es nochmals Jahre, bis er langsam wenigstens einen Bruchteil der Anerkennung erhielt, die er verdient: Der ehemalige Oberstleutnant der Sowjetarmee Stanislaw Petrow hatte im Herbst 1983 durch eine einsame mutige Entscheidung sehr wahrscheinlich den Dritten Weltkrieg verhindert und damit das Leben von Millionen, gar Milliarden Menschen gerettet.

Die Nacht vom 25. auf den 26. September 1983

Zur Erinnerung: In der Nacht vom 25. auf den 26. September, mitten im kältesten Kalten Krieg[wp], schrillte um 0:15 Ortszeit im sowjetischen Raketen­abwehr­zentrum bei Moskau die Sirene. Das Frühwarnsystem meldete den Start einer amerikanischen Inter­kontinental­rakete. Dem diensthabenden Offizier Petrow blieben nur wenige Minuten zur Einschätzung der Lage. Im Sinne der damals geltenden Abschreckungslogik - "Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter!" - hatte die Sowjetführung weniger als eine halbe Stunde Zeit, den alles vernichtenden Gegenschlag auszulösen. Petrow analysierte die Situation und meldete nach zwei Minuten der Militärführung Fehlalarm infolge eines Computer­fehlers. Während er noch telefonierte, meldete das System einen zweiten Raketenstart, kurz darauf folgten ein dritter, vierter, fünfter Alarm. Stanislaw Petrow behielt trotz allem die Nerven und blieb bei seiner Entscheidung. Nach weiteren 18 Minuten extremster Anspannung passierte – nichts! Der diensthabende Offizier hatte recht behalten. Es hatte sich in der Tat um einen Fehlalarm gehandelt; wie sich ein halbes Jahr später herausstellte, infolge einer äußerst seltenen Konstellation von Sonne und Satelliten­system, noch dazu über einer US-Militärbasis. Das sowjetische Abwehrsystem hatte diese Konfiguration als Raketenstart fehl­interpretiert.

Was geschehen wäre, wenn Petrow zu einer anderen Einschätzung gelangt und dem als äußerst argwöhnisch geltenden Parteichef Juri Andropow[wp] den Anflug mehrerer amerikanischer Inter­kontinental­raketen gemeldet hätte - und dies im Vorfeld der Stationierung von US-Mittel­strecken­raketen in Westeuropa[wp] und drei Wochen nach dem Abschuss einer südkoreanischen Passagier­maschine über der russischen Insel Sachalin[wp][5] -, das kann sich jeder ausrechnen, der bereit ist, die notwendige Fantasie und den Mut aufzubringen, eins und eins zusammen­zu­zählen. Vermutlich hat die Welt nie so unmittelbar vor einem alles vernichtenden atomaren Weltkrieg gestanden.

Wer war dieser Mann, dem wir die Rettung unserer Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft verdanken?

Ein sowjetisches Leben in kurzen Strichen skizziert: 1939 bei Wladiwostok geboren, der Vater Jagdflieger, die Familie eines Soldaten muss oft umziehen. Später wird er selbst Berufssoldat. Für seine weltrettende Entscheidung wurde er zuerst gerüffelt, dann weder befördert noch bestraft. Den frühen Tod seiner geliebten Frau scheint er nie verwunden zu haben. Die Journalistin Ingeborg Jacobs[wp] hat vor drei Jahren über ihn, die Zeit des Kalten Krieges und die berühmte Nacht im Herbst 1983 ein kluges, einfühlsames Buch verfasst.

Ein verhinderter Friedensnobelpreisträger im Plattenbau

Als ich im Jahre 2010 zum ersten Mal von Stanislaw Petrow und den Ereignissen des 26. September 1983 erfuhr, musste ich mich erst einmal setzen. Nachdem ich endlich wieder zu mir gekommen war, mir bewusst gemacht hatte, was da eigentlich geschehen war und was ich zusammen mit der ganzen Welt diesem Mann verdanke, schossen mir folgende Fragen durch den Kopf:

Warum erhält dieser Mann nicht den Friedensnobelpreis?

Warum steht diese Geschichte nicht in den Lesebüchern aller Kinder dieser Welt?

Als warnendes Beispiel dafür, wie weit es die Menschheit mit ihrem Wettrüsten bereits gebracht hatte.

Und als ermutigendes Beispiel für menschlichen Mut und Zivilcourage.

Und:

Wie lebt dieser Stanislaw Petrow als russischer Rentner in seiner vermutlich 60 Quadratmeter großen Wohnung im Plattenbau?

Hat er mehr als 200 Euro im Monat?

Und:

Wie geht es ihm?

Ist er gesund?

Glücklich?

Ich wusste nichts über ihn und hatte doch, ohne es erklären zu können, ein Gefühl: Dieser Mann ist nicht glücklich!

Im Mai 2013 nahm ich Kontakt mit ihm auf. Ich schickte Stanislaw Petrow einen Dankesbrief zusammen mit einer schönen Armbanduhr und Geld. Wenig später erhielt ich von ihm eine sehr freundliche Mail.

Besuch in Frjasino

Es dauerte noch drei Jahre, bis ich ihn im Sommer 2016 in Frjasino bei Moskau besuchte. Als das Taxi vor dem großen Wohnblock in der Uliza 60 let SSSR hielt, stand er schon, in der Hand eine Stofftasche, vor dem Eingang. Er kam gerade vom Kiosk, wo er noch Mineralwasser für uns beide eingekauft hatte. Ich sah einen schmächtigen älteren Mann mit fahler Gesichtsfarbe, schon etwas klapprig auf den Beinen, der erkennbar schlecht sah. Wie er mir später erzählte, war eine Star-Operation nicht erfolgreich verlaufen.

Vor diesem Treffen hatte ich Angst gehabt. Ich wusste, dass seine zunehmende Bekanntheit ihm durchaus nicht immer zum Vorteil gereicht hatte. Die wenigsten seiner Besucher waren uneigennützig gewesen, von einem dänischen Regisseur waren er und seine Geschichte wie eine Goldmine zynisch ausgebeutet worden. Er war zu Recht misstrauisch.

Wir setzten uns in seine Küche, und es wunderte mich nicht: Viele russische Männer, vor allem die älteren, tun sich schwer mit der Führung eines eigenen Haushalts - und das konnte man deutlich sehen. Ich fuhr alle meine Antennen so weit wie möglich aus, ignorierte die verwahrloste Küche und schaute ihm nur in seine schönen wässrig-hellblauen Augen. Eine Stunde nahm er sich Zeit, und ich erlebte auf dem abgewetzten speckigen Küchenmobiliar aus Kunstleder einen freundlichen, klugen, sensiblen und gebildeten Mann mit einer kräftigen dunklen Stimme. Der Abschied war freundschaftlich und herzlich.

Späte Anerkennung

In den letzten zehn Jahren seines Lebens kam es dann doch noch zu einer gewissen späten Anerkennung. Er erhielt Einladungen nach New York, Westeuropa und besonders oft nach Deutschland. Und einige Preise waren nicht nur mit Ehre verbunden, sondern zum Glück auch mit - Geld! Und doch blieb er, so scheint es mir, zugleich der einsame Mann in der verstaubten unbenutzten Küche seiner Plattenbau­woh­nung, endlose 50 Kilometer vom Moskauer Stadtzentrum, vom Kreml entfernt.

Anlässlich einer Preisverleihung 2012 in Baden-Baden kam es am Ende eines Interviews, das die WELT mit ihm führte, zu folgendem bemerkenswerten Dialog:

Die Welt: Herr Petrow, sind Sie ein Held?

Stanislaw Petrow: Nein, ich bin kein Held. Ich habe einfach nur meinen Job richtig gemacht.

Die Welt: Aber Sie haben die Welt vor einem Dritten Weltkrieg bewahrt.

Stanislaw Petrow: Das war nichts Besonderes.

Man halte für einen Moment lang inne und mache sich klar, was dieser nüchterne Satz Petrows bedeutet: Er ist nichts weniger als das Understatement der Weltgeschichte!

Am 19. Mai 2017 ist Stanislaw Petrow im Alter von 77 Jahren in Frjasino gestorben. Wie mir sein Sohn Dmitri Anfang September letzten Jahres mitteilte, wurde er im engsten Familienkreis beigesetzt. Es dauerte fast vier Monate, bis diese Nachricht die Welt endlich erreichte.

RT Deutsch[6]
So hatte sich der Oberstleutnant a.D. der Sowjetarmee diesen Samstag mit Sicherheit nicht vorgestellt. An jenem Mittag des kalten 21. November 1998 saß er alleine - und seit dem frühen Tod seiner geliebten Frau anderthalb Jahre zuvor zunehmend vereinsamt - in der Küche seiner 60 Quadratmeter großen Plattenbau­wohnung in Frjasino nördlich von Moskau, als es plötzlich an der Wohnungstür klopfte. Stanislaw Petrow öffnete und draußen im Treppenhaus standen zwei Männer, Mitte 40.

"Are you Mr. Petrow?" - Der ehemalige Offizier der Sowjetarmee nickte. - "This is Mr. Höhn and I am Mr. Schumacher. We come from Germany. Only to say 'Thank you'! Not more." - Petrow blickte einen Moment erstaunt auf, dann lachte er. - "Come in!" - Die drei begaben sich in die sieben Quadratmeter große Küche, Petrow setzte in seinem Kocher Wasser für den Instantkaffee auf, und Karl Schumacher legte einen Zeitungs­ausschnitt aus der Bild-Zeitung auf den Tisch. "Verarmt und traurig" stand dort in dicken Lettern. Und obendrüber in etwas kleineren Buchstaben: "Der Mann, der den Atomkrieg verhinderte."

Am Anfang war die Bild!

Rückblende. Am 8. Oktober 1998 hatte der Oberhausener Bestatter Karl Schumacher diesen kurzen Artikel in Deutschlands auflagen­stärkstem Boulevardblatt gelesen und war, wie er später schrieb, "wie vom Donner gerührt". Damals war die mittlerweile zu recht berühmt gewordene Geschichte von der Nacht vom 26. September 1983[7] noch völlig unbekannt: Als diensthabender Offizier im sowjetischen Raketen­abwehr­zentrum bei Moskau hatte Petrow die Nerven behalten, als das Frühwarnsystem[wp] den Start einer amerikanischen Inter­kontinental­rakete meldete. Er hielt auch dann noch an seiner Einschätzung fest: Fehlalarm infolge Computer­irrtums, als das System unmittelbar darauf noch vier weitere Male Alarm schlug - und er behielt recht!

Anders als 99 Prozent seiner Zeitgenossen hatte Schumacher den Mut, Eins und Eins zusammenzuzählen: "1983 wohnten wir nur etwa 500 Meter von der Gute-Hoffnungshütte (GHH) entfernt, die damals noch ein Stahlkonzern von Weltgeltung war. Ein Volltreffer einer sowjetischen Atomrakete auf die GHH hätte so auch für mich und meine Familie das Ende bedeutet. Und nun las ich, dass dieses Szenario beinahe wahr geworden wäre, hätte es damals nicht einen gewissen Herrn Petrow, Oberst­leutnant der Sowjetarmee, gegeben, der gerade dies verhindert hatte." Und eben dieser Mann, der durch seine Besonnenheit die Welt vor dem Untergang bewahrt hatte, sollte - laut Zeitungsbericht - nur etwa 15 Jahre später in bescheidensten Verhältnissen in einem Vorort von Moskau sein Dasein fristen!

Ein Flug nach Moskau ins Blaue

Der Gedanke ließ Schumacher keine Ruhe mehr: Er musste etwas für den Mann tun, dem er und Millionen, gar Milliarden andere Menschen ihr Leben verdankten! Nach zwei Wochen Telefonaten mit Bild, Hamburg, Berlin, Manchester, London und Moskau hatte er endlich die Adresse: 141195 Frjasino[wp] bei Moskau, ulitsa 60 let SSSR, d 1, kw 152. Telefonisch Kontakt mit Petrow aufzunehmen, war unmöglich, da sein Anschluss nicht funktionierte. Schumacher sprach seinen Freund Helmut Höhn an, der ein paar Brocken Russisch beherrscht, und am Freitag, den 20. November 1998, flogen die beiden auf gut Glück für ein Wochenende nach Moskau.

Und sie hatten Glück. Nicht nur, dass der Taxifahrer - ohne Navi, versteht sich! - die Adresse in dem riesigen Gebäudekomplex, 50 Kilometer nördlich vom Moskauer Stadtzentrum schließlich fand; nicht nur, dass Petrow tatsächlich zuhause war; auch die 'Chemie' zwischen den dreien stimmte auf Anhieb! Der passionierte Raucher Karl Schumacher: "Am besten hat mir sein Aschenbecher gefallen. Und dann diese Erfahrung: Diesen Mann gibt es wirklich!" Fast drei Stunden lang radebrechten die drei bei Instantkaffee im Zigarettenqualm auf Russisch und Englisch in Petrows mit 25 Grad für deutsche Verhältnisse reichlich überheizten Miniküche - nicht über die Nacht, sondern über ihre Familien und das aktuelle Leben in Russland und Deutschland. Dann stand der Plan fest: Petrow sollte für zwei Wochen nach Oberhausen kommen! Schumacher stattete den Oberst­leutnant a. D., der sich von seiner damaligen 1000-Rubel-Rente gerade mal zehn Tassen Kaffee in einem Hotel im Moskauer Zentrum hätte leisten können, mit den notwendigen finanziellen Mitteln aus - allerdings galt es noch mindestens eine größere Hürde zu nehmen: Petrow besaß gar keinen Pass und wusste nicht, ob er als ehemaliger Geheimnis­träger überhaupt eine Genehmigung erhalten würde, sein Land für 14 Tage zu verlassen. (Aus genau diesem Grunde hatte Petrow selbst seiner Ehefrau niemals etwas von seiner weltrettenden Entscheidung erzählt.)

Der Held, der keiner sein wollte, in Oberhausen

Und wieder klappte alles: Am 8. April 1999 war der Ex-Sowjetoffizier zum ersten Mal in seinem Leben im Ausland, will sagen: in Oberhausen! Schumacher organisierte ein äußerst vielseitiges lokales Programm für den Retter der Welt: Besuche im Bottroper Movie-Park, im Tiergehege des Oberhausener Kaisergartens, ein Blueskonzert, Visite in einer Oldtimer­werkstatt und bei der Filiale der örtlichen Volksbank, ein Blick vom Gasometer. Schumacher: "Ich nahm ihn überall hin mit. Er interessierte sich einfach für alles! Er pfiff sogar ein Fußballspiel an, das mein Sohn als Schiedsrichter leitete. Und musste ich zum Zahn- oder Augenarzt, dann ließ ich ihn, Petrow, gleich mit untersuchen." Natürlich durfte ein Empfang beim Bürgermeister im Rathaus mit Vertretern der Parteien nicht fehlen, ebenso eine Geschichtsstunde, bei der Petrow vor Schülern des örtlichen Sophie-Scholl-Gymnasiums sprach sowie Interviews für den WDR und SAT1. Nur Stern TV sagte ab, da man dort für den entsprechenden Abend "Wichtigeres" (nämlich einen Bericht über einen mobilen Pudelfriseur!) ins Programm genommen hatte. Dafür berichtete die lokale Presse ausführlich über den damals noch so gut wie unbekannten Helden, der keiner sein wollte.

Schumacher fuhr mit Petrow quer durchs Ruhrgebiet bis zum Kölner Dom – kurz: er zeigte ihm all das, was es aufgrund Petrows weltrettender Entscheidung noch gab! "Der Besuch tat ihm sichtlich gut. Am wohlsten aber", schmunzelt Schumacher, "hat er sich gefühlt, als meine Mutter, die damals noch lebte, ihn im Ruhrpott-Slang anknuffte: 'Stanislaw, ob Du die Welt jerettet hast oder nicht, dat intressiert mich jetzt überhaupt nicht! Du isst jetzt meine Erbsensuppe und dann sagste mir, ob se Dir jeschmeckt hat!' "

Als Stanislaw Petrow zwei Wochen später wieder nach Moskau zurückflog, war der Grundstein für eine deutsch-russische Freundschaft gelegt, wie sie zauberhafter nicht sein könnte. Und nicht nur das: Auch infolge dieser ersten Veröffentlichungen zog die Geschichte um Petrow langsam international Kreise. Acht Jahre später, 2004, wurde ihm im UN-Hauptquartier in New York der World Citizen Award verliehen, es folgten in Deutschland 2011 der Deutsche Medienpreis[wp] mit einer Laudatio von Ex-Bundespräsident Roman Herzog[wp], und im Februar 2013 der Dresdner Friedenspreis[wp]. Es wurde auch ein abendfüllender Film über ihn gedreht, den man allerdings besser vergessen sollte!

Der einsame Tod des Mannes, der die Welt gerettet hatte

Am 7. September 2017 rief Karl Schumacher in Frjasino an, um Petrow, wie jedes Jahr, zum Geburtstag zu gratulieren. Am anderen Ende der Leitung hörte er eine ihm unbekannte Stimme in gebrochenem Englisch: "Dmitrij here. Father dead!" Stanislaw Petrow, war - wie sich nun herausstellte - bereits am 19. Mai desselben Jahres verstorben und im engsten Familienkreis in Frjasino beigesetzt worden. Durch die Traueranzeige, die Schumacher zwei Tage später in der WAZ Oberhausen veröffentlichte, erfuhr die Welt mit einer Verspätung von dreieinhalb Monaten vom einsamen Tod des Mannes[6], der die Welt gerettet hatte. Wenige Tage später stand Schumachers Telefon nicht mehr still: Nachrichten­agenturen rund um den Globus wollten Einzelheiten wissen, die Weltpresse in 150 Staaten berichtete.

Damit aber war Schumachers Einsatz für seinen russischen Freund noch lange nicht beendet. Am ersten Jahrestag des Todes von Petrow war er mit Helmut Höhn wieder in Frjasino. Diesmal legten die beiden auf dem Grab Petrows und seiner Frau Raissa eine Marmorplatte nieder mit der kurzen Inschrift in kyrillischen und lateinischen Lettern: "Stanislaw Petrow, 7.9.1939 - 19.5.2017. Спасибо - Thank You - Danke".

Das erste Denkmal weltweit

Vorletzten Sonntag enthüllte nun Schumacher an Petrows Todestag das weltweit erste Denkmal für den Retter der Welt: eine Gedenk-Stele in deutscher, englischer und russischer Sprache im Oberhausener Park an der Vestischen Straße - also dort, wo Petrow im April 1999 ein TV-Interview über die Ereignisse der Nacht vom 26. September 1983 gegeben hatte. Eingeladen waren aus Frjasino Petrows Kinder Dmitrij und Elena mit Ehemann. Alle Parteien im Oberhausener Stadtrat (das hatte es dort noch nie gegeben!) hatten Schumachers Initiative einstimmig zugestimmt. Überflüssig zu betonen, dass Schumacher sämtliche Kosten für das Denkmal und die Einweihungsfeier (inklusive Musikband), an der um die 150 Personen teilnahmen, aus eigener Tasche übernahm.

Manche nennen Karl Schumacher den "Mann, der den Mann gerettet hat, der die Welt gerettet hat". Schumacher, durchaus mit solidem Selbst­bewusstsein ausgestattet, mag es hier lieber ein paar Nummern kleiner: "Ich bin der Mann, der 'Danke!' gesagt hat." Und er findet auch sonst die passenden Worte. Seine Laudatio auf den russischen Freund gipfelte in der folgenden lapidaren Sentenz: "Der Mensch ist ein Versuch Gottes oder der Natur. Dank Stanislaw Petrow geht dieser Versuch weiter."

Genau das richtige Signal in dieser neuen spannungs­geladenen Zeit. Hoffen wir, dass es gehört wird!



Der Autor
Dr. Leo Ensel ("Look at the other side!") ist Konfliktforscher und interkultureller Trainer mit Schwerpunkt "Postsowjetischer Raum und Mittel-/Ost-Europa". Autor einer Reihe von Studien über die wechselseitige Wahrnehmung von Russen und Deutschen. Im Frühjahr 2013 nahm er Kontakt mit Stanislaw Petrow auf und besuchte ihn im Sommer 2016 in seiner Wohnung in Frjasino bei Moskau.
– RT Deutsch[8]

Einzelnachweise

  1. Benjamin Bidder: Der Mann, der den Dritten Weltkrieg verhinderte, einestages am 21. April 2010
  2. Marina Solnzewa: Der Mann, der den Atomkrieg verhinderte, дekoder (dekoder.org) am 18. September 2017
  3. Laut Interview mit Petrow, FAZ.NET (18. Februar 2013), 1993 durch einen Artikel in der Prawda; ebenso das Interview in welt.de (29. Februar 2012); laut Spiegel Online (21. April 2010) 1998 durch ein Interview mit Generaloberst Votintsev.
  4. Petrows Entscheidung, Die Zeit am 18. September 2008
  5. Chronik eines Irrtums, wissenschaft.de am 17. August 2023
    Am 1. September 1983 schoss die sowjetische Luftverteidigung über der Insel Sachalin ein Flugzeug ab. Es handelte es sich allerdings nicht, wie vermutet, um ein Spionageflugzeug der USA, sondern um eine zivile Passagiermaschine der Korean Airlines mit 269 Menschen an Bord.
  6. 6,0 6,1 Leo Ensel: Der einsame Tod des Mannes, der die Welt gerettet hatte: Vor einem Jahr starb Stanislaw Petrow, RT Deutsch am 14. Mai 2018
    Anreißer: Im Herbst 1983 stand die Welt wegen eines Raketenalarms im sowjetischen Raketen­abwehr­zentrum unmittelbar vor einem Atomkrieg. Der diensthabende Offizier Stanislaw Petrow behielt die Nerven. Im Mai 2017 starb er einsam in seiner Platten­bau­wohnung bei Moskau.
  7. Stanislaw Petrow und das Geheimnis des roten Knopfs, Telepolis am 20. Juni 2009
  8. Leo Ensel: Stanislaw Petrow in Oberhausen - Warum im Ruhrpott ein Denkmal für den Russen steht, RT Deutsch am 30. Mai 2019
    Anreißer: Am zweiten Todestag wurde zu Ehren des Mannes, der im Herbst 1983 durch besonnenes Handeln vermutlich einen Atomkrieg verhinderte, in Oberhausen das erste Denkmal weltweit enthüllt. Warum? Dahinter verbirgt sich eine herzzerreißende deutsch-russische Geschichte.

Netzverweise